Ist Marcumar ein Problem
bei der Zahnbehandlung?
Bei
unserem Marcumar-Patiententreffen im Oktober 2000 lautete das
Schwerpunktthema "Der Herzpatient beim Zahnarzt". Dr. Peter Dittmer,
niedergelassener Zahnarzt aus Bad Lauterberg, hat in zwei Referaten
besonders wichtige Aspekte der zahnärztlichen Behandlungen von
Herzpatienten erläutert. Dabei kamen ihm seine guten Verbindungen
zur Zahnklinik Göttingen und seine große praktische
Erfahrung zu Gute, denn es gibt kaum wissenschaftliche Literatur zu
diesen Themen. Heute veröffentlichen wir eine Zusammenfassung des
ersten Vortrags. Über den Beitrag „Endokarditis-Prophylaxe
beim Herzklappen-Patienten“ berichten wir in einem weiteren
Abschnitt.
Von Dr.
Peter Dittmer
und Dr.
Barbara Bialucha
Bei
zahnärztlich-chirurgischen Maßnahmen muss der Zahnarzt die
besondere Blutungsgefahr, die bei einem „Marcumar-Patienten“ besteht,
beachten. Das Medikament vermindert dosisabhängig die
Gerinnbarkeit des Blutes und wird zum Schutz vor Thrombosen und
Embolien gegeben. Häufige Gründe für diese Therapie sind
künstliche Herzklappen, Herzrhythmusstörungen („absolute
Arrhythmie“), Thrombosen oder Embolien.
Bei
kleineren zahnärztlichen Behandlungen wie Präparation von
Zähnen, vor dem Legen von Füllungen, für
Überkronungen oder Zahnsteinbehandlung ist eine Änderung der
Marcumartherapie nicht erforderlich.
Vor jeder Zahnbehandlung
mit besonderer Blutungsgefahr ist hingegen für den Zahnarzt die
Kenntnis des aktuellen Gerinnungswertes wichtig. Dabei ist die
international übliche Angabe der INR (International Normalized
Ratio) wünschenswert. Weniger geeignet ist die Angabe des
"Quick" in Prozent, weil dieser je nach Herkunft und Reinheit der
verschiedenen Labortests bei ein- und demselben Patienten
unterschiedliche Werte ergeben kann. Bei der INR entspricht ein Wert
von 1 immer einer normalen Blutgerinnung. Eine INR von 2 bedeutet eine
Verdoppelung der Gerinnungszeit, eine INR von 3 die dreifache
Gerinnungszeit.
Von
der Deutschen
Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
wurde schon 1966 in einer Stellungnahme festgestellt, dass
- bei
Werten im unteren therapeutischen Bereich (INR 2-2,2) die Extraktion
(das Ziehen) eines oder mehrerer Zähne sowie auch eine Osteotomie
(Eröffnung des Kieferknochens) ohne stärkere Blutungsgefahr
möglich ist.
- bei
umfangreichen Gebisssanierungen mit ungenügender Möglichkeit
zur lokalen Blutstillung eine vorübergehende Senkung der INR auf
1,5 bis 2,0 angezeigt ist.
- in
Zweifelsfällen Patienten mit ausgedehnten
zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen stationär zu behandeln
sind, da unter Umständen durch Verminderung der Antikoagulation
(Gerinnungshemmung) Risiken entstehen können. Das Marcumar wird in
diesen Fällen zwei bis drei Tage vor dem Eingriff abgesetzt.
Die
Marcumar-ungeschützte Phase wird mit Heparin überbrückt.
In diesen Fällen müssen die Marcumar- und die Heparinwirkung
engmaschig kontrolliert werden.
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Früher
wurde zum Absetzen von Marcumar zwei Tage vor dem Eingriff und
Anheben des "Quick"-Wertes auf 30 Prozent geraten. In neueren
Publikationen wird zunehmend häufiger empfohlen, die
Gerinnungshemmung nicht zu vermindern, da selbst längere Blutungen
weniger Risiken in sich bergen als die mögliche Provozierung eines
Infarktes oder einer Thrombose wegen unzureichender Gerinnungshemmung.
Mit anderen Worten: Für den Patienten ist ein eventueller
Blutverlust letztendlich wesentlich weniger bedrohlich als das Risiko
einer Gerinnselbildung.
Die
Empfehlungen der
Europäischen Gesellschaft für Kardiologie
(European Society of Cardiology) von 1996 besagen, dass
- für
zahnärztliche Eingriffe ein INR-Wert von 2-2,5 angebracht ist
- dieses
durch Absetzen der Marcumar-Behandlung ein bis drei Tage vor dem
Eingriff in den meisten Fällen erreichbar ist
- in
den meisten Fällen nicht mit Heparin behandelt zu werden braucht
- mit
der Marcumar-Behandlung am Tage des Eingriffs wieder begonnen werden
kann
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In einer
Auswertung sämtlicher englischsprachiger Publikationen zu dieser
Thematik hat ein Autor keinen einzigen Fall einer schweren Blutung
unter Beibehaltung der Gerinnungshemmung gefunden. Grundsätzlich
sollte die Vorgehensweise abgestimmt werden: auf die Grunderkrankung
des Patienten und auf den zahnärztlichen Eingriff.
Zwar gibt
es auch heute keine vollkommene Einigkeit darüber, bei welchem
INR-Wert welcher zahnärztliche Eingriff sicher durchgeführt
werden kann. Die Experten-Empfehlungen der Zahnärzte und
diejenigen der Kardiologen unterscheiden sich nur wenig.
Es
lässt sich also zusammenfassen, dass für die meisten
zahnärzlichen Eingriffe die Marcumar-Behandlung nicht abgesetzt
werden soll. Es genügt, wenn die INR am Tag der Behandlungen im
unteren therapeutischen Bereich liegt.
Ausnahmen
Eine
Ausnahme sind größere chirurgische Eingriffe. Sie erfordern
eine Verminderung der Gerinnungshemmung, das bedeutet ein Anheben der
INR auf 1,5 bis 2 (entspricht ungefähr einem „Quick“ von 30 bis 40
Prozent, je nach Labor). Dazu wird das Marcumar einige Tage abgesetzt.
Das Gegenmittel Konakion wird hingegen nicht empfohlen.
Zu solchen
größeren Eingriffen rechnet man:
- Extraktionen (Ziehen von
Zähnen) oder paradontalchirurgische Eingriffen mit
größerer Aufklappung
- Vestibulumplastiken
- Eingriffe im Oberkiefer
mit Weichteilabhebung.
- Wenn solche Eingriffe bei
Patienten mit hoher Gefährdung durch Gerinnselbildung erfolgen,
muss die Zeit, bis die INR wieder im therapeutischen Bereich liegt,
durch Heparinspritzen überbrückt werden. Zu diesen besonders
gefährdeten gehören Patienten mit:
- Thrombose, Embolie oder
absoluter Arrhythmie vor weniger als einem Monat
- Herzklappenersatz vor
weniger als drei Monaten,
- mechanischer
Mitralklappenprothese unabhängig vom Implantationszeitpunkt
Bei jedem
Marcumar-Patienten sollten Vorsorgemaßnahmen beachtet werden, die
der Zahnarzt und der Patient treffen können, um Blutungen im
Behandlungsgebiet zu verhindern.
Vorsorgemaßnahmen
des Zahnarztes, um Blutungen zu verhindern:
- die
Wunde mit einem selbstauflösenden Material, z. B. Gelatineschwamm,
Kollagenpräparat (z. B. Lysostypt, Tissu-Vlieskegel)
ausfüllen (keine Gazestreifen verwenden).
- Wundränder
sorgfältig vernähen, eventuell elektrische Verödung oder
Laseranwendung
- Verwendung
von Gewebskleber (Tissucol oder Beriplast)
- ein
Aufbisstupfer während der ersten Stunde nach dem Eingriff
unterstützt die Blutstillung, eventuell Eingliedern einer
Verbandplatte
- auch
eine Spülung der Operationswunde mit einer Ampulle
Tranexamsäurelösung 1:2 verdünnt sowie eine
Mundspülung in den folgenden zwei bis sieben Tagen vier Mal
täglich für je zwei Minuten mit 5 ml 5prozentiger
Tranexamsäurelösung hat sich bewährt. Dafür wird
eine 500-mg-Tablette in 10 ml Wasser aufgelöst.
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Maßnahmen
des Marcumar-Patienten, um Blutungen nach dem Eingriff zu verhindern:
- stark
gewürzte und heiße Speisen sowie koffeinhaltige
Getränke meiden
- Alkohol-
und Nikotinverbot
- körperliche
Anstrengungen meiden
- Kopf
möglichst hoch lagern
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über Endokarditis-Prophylaxe bei
Herzklappen-Patienten
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